Archiv für den Autor: Anatol Stefanowitsch

Von Lehnwörtern und Sprachzerstörern

Es wird niemanden überraschen, dass unsere Aktion nicht überall Freude auslöst. Ungefähr ein Drittel unserer Post besteht nicht aus Vorschlägen für den nächsten Anglizismus des Jahres, sondern aus Vorschlägen ganz anderer Art.

Heute zum Beispiel schreibt ein Herr Herbert R.* aus einem Örtchen an der idyllischen Weinstraße:

Vorschlag: Sprachzerstörer
Quelle: Hirn
Begründung: Wer feiert, dass unsere Sprache durch UNNÖTIGE englische Ausdrücke zerstört wird, sollte sich mal an einen Psychiater wenden.
PS: Ich bin kein Rechter, sondern links.

Zunächst zu Ihrem Vorschlag, lieber Herr R.: Der qualifiziert sich leider nicht, denn er besteht ganz und gar aus Erbgut, das sich schon seit althochdeutscher Zeit in unserer Sprache findet: Sprache ist von sprechen abgeleitet, und das ist ein Verb, das sich zwar in der Form speak auch im Englischen findet, das aber beide Sprachen ohne Entlehnung von ihrer gemeinsamen Vorfahrin, dem Indoeuropäischen haben (dort lautete es *spreg-). Zerstörer ist von dem Verb stören abgeleitet, das mindestens bis zum Proto-Germanischen *sturjan zurückgeht und seine heutige Bedeutung über das althochdeutsche storen („verstreuen“) entwickelte. Es ist mit dem englischen stir („rühren“) verwandt, aber nicht aus dem Englischen entlehnt.

Nun zu Ihrem Ratschlag: Wir feiern nicht, dass die deutsche Sprache durch englische Ausdrücke zerstört wird, sondern, dass sie durch englische Ausdrücke bereichert wird. Denn sehen Sie, unnötige Lehnwörter gibt es nicht – wären sie nicht nötig, würde die Sprachgemeinschaft sie nicht entlehnen. Und was Ihre Empfehlung betrifft, einen Psychiater aufzusuchen so ist die zunächst sehr unsensibel gegenüber Menschen, die tatsächlich auf psychiatrischer Behandlung angewiesen sind; sie widerspricht im Übrigen Ihrem Wunsch, unnötige Lehnwörter zu vermeiden, denn Psychiater bedeutet ja nichts anderes als „Seelenheiler“, also verwenden Sie doch in Zukunft dieses schöne deutsche Wort.

Alle anderen dürfen gerne weiter Vorschläge für unseren Anglizismus des Jahres einreichen.

* Name geändert.

Wortkandidaten der Jury, Teil I

Die Anglizismus-des-Jahres-Wahl wird entscheidend von Ihren Nominierungen getragen – das war in der Vergangenheit so, und das wird auch so bleiben. In diesem Jahr werden Ihre Vorschläge aber erstmalig durch eine eigene Recherche der Jury ergänzt.

Die Grundlage für unsere Recherche bildet die Wortwarte des Berliner Sprachwissenschaftlers Lothar Lemnitzer. Lemnitzer durchsucht seit über zehn Jahren täglich eine Reihe von Online-Medien halbautomatisiert nach sogenannten Neologismen, also neu geschöpften oder neu entlehnten Wörtern und veröffentlicht die Ergebnisse. Auf diese Weise entsteht ein einzigartiges Archiv der Entwicklung des deutschen Wortschatzes, das Wortbegeisterte zu stundenlangen Erkundungsspaziergängen einlädt.

Bis zum Stichtag für unsere Recherche, den 19. Oktober 2013, hatte die Wortwarte für das laufenden Jahr 1.954 Wörter dokumentiert. Auf dieser Liste haben wir zunächst in 621 Wörter identifiziert, die dem Kriterium unserer Wörterwahl entsprechen, also ganz oder in Teilen aus englischem Wortgut bestehen. In aufwändiger Handarbeit haben wir diese Liste dann nach guten Wortkandidaten durchsucht.

Zunächst habe ich alle Wörter aussortiert, deren englischsprachige Wortanteile aus längst etablierten Lehnwörtern bestehen – Wörter wie Baby-Industrie, Überwachungsparty und Lifestylediktatur. Dann habe ich Wörter aussortiert, bei denen ich mir sicher war, dass sie schon länger im Gebrauch waren – Wörter wie Powernapping, Wingsuit-Springer und Cradle-to-Cradle-Philosophie. Schließlich habe ich alle Wörter aussortiert, die mir wie Spontanschöpfungen oder -entlehnungen aussehen, die keinesfalls schon ausreichend verbreitet sind, um sich für unseren Wettbewerb zu qualifizieren – z.B. After-Baby-Bauch oder Pferde-Casting. Da ich mich hier auf meine Intuition verlassen musste, können mir hier Fehler unterlaufen sein – meine komplette Liste der Wortwarte-Anglizismen findet sich hier, falls sie jemand nach weiteren Wortkandidaten durchforsten möchte.

Die übrig gebliebenen Wörter haben ich einem kurzen Plausibilitätstest unterzogen, indem ich mittels Google Trends überprüft habe, ob ihr Anteil am Suchvolumen 2013 gegenüber 2012 einen deutlichen Anstieg zeigte. Das sollte messen, inwiefern die Wörter 2013 ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangten. Ein großer Teil der Wörter fiel hier weg, weil Google Trends wegen eines zu geringen Suchvolumens keine Zahlen lieferte.

Übrig blieben (nach Abzug der bereits nominierten Wörter) nur 12 Wörter, die als potenzielle Kandidaten mit auf unsere Nominierungsliste kommen. In der Reihenfolge ihrer oberflächlichen Wichtigkeit sind das: Big Data, Smartwatch, Touch-ID, Slow Sex, No-Spy-Abkommen, Dry-Aging, Musikflat, Freemium, Unboxing, Fingerprint, Fake- und E-Ink. Für die Endrunde werden sie sich nicht alle qualifizieren – die Popularität von Slow Sex geht auf einen entsprechenden Buchtitel zurück, No-Spy-Abkommen könnten wir am Ende als Eigenname werten und Fingerprint hat einen Duden-Eintrag, kann also eigentlich nicht so neu sein.

Ihre eigenen Nominierungen können Sie noch bis zum 24. November auf unserer Nominierungsseite eintragen!

Die Vor- und Frühgeschichte des Anglizismus des Jahres

Im Internet geht ja eigentlich nicht viel verloren, aber dass der Anglizismus des Jahres einen kurzzeitigen Vorläufer hatte, habe ich nur durch Zufall herausgefunden.

Drei Jahre lang, von 1999 bis 2001, veranstaltete der Wörterbuchverlag PONS seine eigenen Wörterwahlen. Neben den „offiziellen“ Wahlen zum Wort des Jahres (durchgeführt von der Gesellschaft für Deutsche Sprache) und zum Unwort des Jahres (durchgeführt von einer unabhängigen Jury um den Frankfurter Germanisten Horst Schlosser) kürte auch PONS ein Wort, ein Unwort und ein Neuwort des Jahres – und in den ersten beiden Jahren außerdem einen Anglizismus des Jahres.

Viel ist von der Aktion nicht zurückgeblieben. Auf den Webseiten des Verlags finden sich keine Hinweise mehr auf diese Wörterwahlen – selbst, als das „Deutschblog“ des PONS-Verlags über unseren Anglizismus des Jahres 2011 berichtete, fehlte jeder Hinweis auf den hauseigenen Versuch, schon zehn Jahre zuvor eine Anglizismenwahl zu etablieren. Mit viel Geduld konnte ich aber in der Wayback Machine des Internet Archive eine alte Meldung des Verlags ausfindig machen, und mit den dort gefundenen Informationen dann auch die alten Pressemeldungen bei APA OTS. So können wir die Urahnen unserer Anglizismen des Jahres hier für die Nachwelt festhalten.

1999: Y2K
2000: 1. Green Card; 2. New Economy; 3. Analyst.

Im Jahr 2001 war kein Anglizismus des Jahres mehr dabei, aber auf Platz 3 der Neuwörter befand sich immerhin das Lehnwort Sexing. Danach verschwanden die PONS-Wörterwahlen wieder – warum, lässt sich nicht nachvollziehen.

Schade ist es allemal, weil laut Pressemitteilung die PONS-Wörterwahlen auf „Frequenzanalysen und Wortbeobachtungen“, also auf nach sprachwissenschaftlichen Kriterien ausgewerteten Daten, beruhten – etwas, das unter den heutigen Wörterwahlen nur der Anglizismus des Jahres von sich sagen kann.

Schade auch, weil die Wörter Y2K und Green Card einen schönen Einblick in die damalige Zeit festhalten – so wie es auch die von uns gewählten Wörter leaken (2010), Shitstorm (2011) und Crowdfunding (2012) tun. Und hoffentlich auch der Anglizismus des Jahres 2013, für den Sie noch bis zum 24. Oktober Ihre Nominierungen abgeben können.

Die Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2011

Mit angehaltenem Atem wartet die Welt auf die Bekanntgabe der Wörter, die es in die zweite Runde der Wahl zum Anglizismus des Jahres geschafft haben, und da es ungesund ist, zu lange den Atem anzuhalten und da wir wahrhaftig wichtigere Probleme haben als einen lexophil bedingten Sauerstoffmangel, will ich die Welt nicht länger warten lassen und präsentiere hiermit die Nominierungen, die die Vorauswahl der strengsten Wörterwahljury Deutschlands überlebt haben.

Um das zwangsläufig folgende Kopfschütteln und die Empörung in Grenzen zu halten, zwei Vorbemerkungen. Erstens, dass ein Wort in die zweite Runde kommt, bedeutet noch nicht unbedingt, dass es sich auch tatsächlich endgültig qualifiziert hat. Es bedeutet zunächst nur, dass die Jury dies mehrheitlich für möglich hält. Die Wörter werden in den nächsten Wochen in den Blogs der Jurymitglieder genauer überprüft und können dort natürlich auch diskutiert werden. Dabei scheidet sicher noch der eine oder andere Wortkandidat aus. Zweitens, ein Wort zählt im Rahmen dieses Wettbewerbs als „neu“, wenn es im Jahr 2011 erstmals in den Sprachgebrauch einer breiteren Öffentlichkeit gelangt ist, bzw. dort einen deutlichen Häufigkeitsanstieg verzeichnet. Das Wort kann in sprachlichen Subkulturen also durchaus älter sein, ohne sich deshalb gleich zu disqualifizieren.

Klar für die zweite Runde qualifiziert haben sich nach unseren Vorberatungen (in alphabetischer Reihenfolge) die folgenden Wörter:

adden, Barcamp, Bromance, circlen, Cloud, Euro-Bonds, Hacktivism, Haircut (im Sinne von „Abschläge vom Wert von Kreditsicherheiten“), Liquid Democracy, Masterand, Occupist, Occupy (inkl. Occupy-Bewegung), Partnering, Post-Privacy, screenshotten, Scripted Reality, Shitstorm, Stresstest und Tablet.

Wie sich schon während des Nominierungsprozesses abzeichnete, stammen die Wörter überwiegend aus drei Bereichen: Finanzen, Netz- und Informationstechnologie und Netzkultur. Das dürfte zum einen daran liegen, dass die Nominierungen online gesammelt wurden und so zwangsläufig nur von Internetnutzern stammen, für die Netztechnologie und -kultur besonders präsent sind, es liegt aber zum anderen natürlich daran, dass die gesellschaftliche und technologische Innovation in diesen Bereichen besonders hoch ist und deshalb dort besonders viele neue Wörter gebraucht werden. Anders als die Anglizismenjäger gerne behaupten, werden Lehnwörter ja nicht verwendet, um weltläufig anzugeben oder sich dem amerikanischen Imperialismus unterzuordnen, sondern um lexikalische Lücken zu füllen.

Wie gesagt, all diese Wörter stehen vorläufig noch unter Bewährung und sicher werden es nicht alle auf die Shortlist schaffen. Zusätzlich haben es aber fünf Nominierungen in die zweite Runde geschafft, die unter besonders scharfer Beobachtung stehen, nämlich das Suffix -gate und die Substantive Bubble Tea, Contentfarm, Cyberkrieg/Cyberwar und Mem/Meme.

Bei -gate war sich die Jury mehrheitlich einig, dass es viel zu alt ist, aber ein Jurymitglied ist der überzeugend vertetenen Meinung, dass es erst in jüngerer Zeit wirklich produktiv geworden sei. Wenn sich das in den nächsten Wochen belegen lässt, kann dieses Suffix es vielleicht doch noch auf die Shortlist schaffen. Auch Contentfarm, Cyberkrieg/Cyberwar und Mem/Meme scheinen auf den ersten Blick zu alt zu sein, aber sie alle zeigen einen deutlichen Häufigkeitsanstieg in 2011, sodass es durchaus möglich ist, dass sie bisher vor allem in bestimmten Sparten verwendet wurden und nun in den allgemeinen Sprachgebrauch vordringen. Keins der Wörter steht übrigens bislang im Duden — was mich bei Mem und Cyberkrieg besonders wundert, aber die eben geäußerte Spekulation stützen könnte. Bubble Tea ist dagegen möglicherweise zu neu, es ist insgesamt noch sehr selten und wir werden prüfen müssen, ob es tatsächlich schon als Lehnwort gelten kann.

Schließlich sollen noch drei Wörter erwähnt werden, die sich nicht qualifizieren konnten, die aber nicht ohne lobende Erwähnung ausscheiden sollen: Copy & Paste, Nerd und Rating. Alle drei sind im allgemeinen Sprachgebrauch bereits deutlich zu alt für den Anglizismus des Jahres 2011, aber alle drei haben im öffentlichen Diskurs des letzten Jahres eine herausragende Rolle gespielt. Das Jahr 2011 begann als Jahr der falschen Doktor/innen („Copy und Paste“), ging weiter als Jahr der durch Privatunternehmen mit durchschaubaren Interessen („Rating“-Agenturen) ausgelöste Staatspleiten und wurde durch die großen Erfolge der Piratenpartei in der Berliner Wahl und den bundesweiten Meinungsumfragen zum Jahr der (tatsächlichen oder angeblichen) „Nerds“. Wenn wir die Gesellschaft für deutsche Sprache wären und ein „Wort des Jahres“ suchten — die drei Wörter wären für uns allemal heißere Kandidaten als das schwäbisch-wutbürgerliche Stresstest.

Aber wir suchen kein Wort des Jahres, sondern den Anglizismus des Jahres, also ein englisches Lehnwort, das im Jahr 2011 nicht den öffentlichen Diskurs, sondern die deutsche Sprache besonders bereichert hat. Welches Wort wird das sein?

Die nächsten Wochen werden es zeigen!

Anglizismus 2011: Nominierungsphase eröffnet!

Im Sprachlog habe ich gerade den Startschuss für die Nominierungsphase des „Anglizismus des Jahres 2011“ gegeben, und die Nominierungsseite ist auch freigeschaltet.

Wie auch im letzten Jahr steht mir eine hervorragende Jury bloggender Sprachwissenschaftler/innen zur Seite, deren Mitglieder ich in den nächsten Wochen hier einzeln und ausführlich vorstellen werde.

Wir freuen uns auf eine rege Beteiligung und viele spannende Diskussionen!